Montserrat – am Fuß des Feuerberges

„Happy Saint Patrick’s“ begrüßt mich heute jede:r im Hotel. Ich grüße freundlich zurück. Heute ist Hochfeiertag, das habe ich schon verstanden, hab aber keine Ahnung was da auf mich zukommt.

St. Patrick's, Wanddeko am Flughafen
St. Patrick’s, Wanddeko am Flughafen

Ich bin nicht etwa in Irland, ich bin auf Montserrat. Montserrat ist eine 102 Quadratkilometer große Insel in der Karibik. (Zum Vergleich: Sylt hat 99 Quadratkilometer) Montserrat gehört zu den Kleinen Antillen. Als ich nach einem langen Reisetag am Spätnachmittag in meinem Hotel ankomme, möchte ich nur Essen und Schlafen. Da das Hotel gerade kein Restaurant betreibt, lasse ich mir Essen von irgendeinem Restaurant auf’s Zimmer liefern. Gegrilltes Huhn mit Ofenkartoffel und Salat. Aus der Styroporschachtel mit Plastikgabel etwas trostlos, aber superlecker.

Abendessen
Gegrilltes Hühnchen mit Ofenkartoffel

Tropical Mansion Suites Hotel

Ich übernachte im Hotel Tropical Mansion Suites. Es wurde 1999 gebaut und ist ein architektonisches Schmuckstück. Etwas in die Jahre gekommen, aber dennoch mit Charme.

Zahlungsmittel

Montserrat ist Britisches Überseegebiet; Staatsoberhaupt ist König Charles III, vertreten durch Gouverneurin Sarah Tucker. Ich bin also quasi in Großbritannien. Es herrscht Linksverkehr. Bezahlt wird jedoch nicht mit Pfund Sterling, sondern mit Ostkaribischen Dollar oder US-Dollar. Beides wird von den Einheimischen stets als Dollar bezeichnet. Nennt ein Taxifahrer seinen Fahrpreis, meint er in jedem Fall US-Dollar, bei dem Dollarpreis an anderen Orten ist meist EC (East Caribian Dollar) gemeint. Bei meinem ersten Besuch bei JJs, einem Minirestaurant in St. John’s in der Nähe des Hotels, kocht Mama JJ selbst.

JJ's Cuisine
JJ’s Cuisine

Als sie mir den Preis für das einfache, megaleckere marinierte Huhn mit Kochbanane und Möhren-Kokos-Reis nennt, bekomme ich jedoch Schweißausbrüche: 36 Dollar will sie dafür haben! Doch sie meint nicht US-Dollar, sondern EC-Dollar und damit nur ein Drittel, also umgerechnet zwölf Euro. Damit ist meine Welt wieder in Ordnung und meine Reisekasse wird gewiss bis zum Ende meiner Reise durchhalten.

Marinierte Hähnchenbrust mit Möhren-Kokos-Reis, Gemüse und Kochbanane
Marinierte Hähnchenbrust mit Möhren-Kokos-Reis, Gemüse und Kochbanane

Soufriére Hills

Der höchste Berg ist der 1050 Meter hohe Soufriére Hills. Von den Montserratern wird der Berg respektvoll Madame Soufriére genannt. „Warum Madame“, frage ich Sandre, meinen heutigen Reisebegleiter, „warum ist der Berg kein Mann?“ „Eindeutig eine Frau: schön, erhaben und unberechenbar“, erklärt Sandre mit Selbstverständlichkeit.

Soufriere Hills
Soufriere Hills

Madame Soufiére Hills hatte lange geschlafen, bis sie 1995 beginnt sich zu recken und zu strecken. Das tut sie in Form von ein paar, genauer gesagt um die 60.000, kleineren Erdbeben. Sie beginnt zu kochen und zu qualmen.

Soufriere Hills
Soufriere Hills

Im März/April 1996 wächst ein Lavadom stetig in die Höhe bis seine Wände kollabieren. Pyroklastische Ströme fließen durch die Täler teilweise bis zum Meer. Erste Evakuierungen sind notwendig, denn diese Ströme fließen genau dorthin, wo sich die meisten Menschen Montserrats niedergelassen haben. Madame Soufiére Hills beruhigt sich wieder. Etwas. Im Juli 1997 fließen erneut pyroklastische Ströme, 21 Menschen sterben. Einen Monat später regnen riesige Bimssteine und Asche auf die Hauptstadt Plymouth. Die Spitze von Sourfiére Hills explodiert, Plymouth geht in Flammen auf; der Flughafen auf der anderen Inselseite wird durch Lavamassen völlig zerstört. Die Menschen fliehen. Die Hälfte der Einwohner verlässt Montserrat. Die andere Hälfte bleibt und baut neue Häuser, dort wo bislang die Felder für den Gemüseanbau waren.

Brades, Davy Hill, St. John's
Brades, Davy Hill, St. John’s

2010 kommt es nochmals zu einer Aschewolke die bis zu 15.000 Meter in die Höhe schießt. 2012 lässt die Aktivität nach. Heute, 2025, qualmt Soufiére Hills still vor sich hin. Die Hälfte der Insel wurde zur Sperrzone erklärt. Betreten wwerden darf ein Teil der Sperrzone nur mit Sondergenehmigung des MVO (Montserrat Vulcano Observatory), wenn sicher ist, dass die Dame gerade schläft und sich nicht bewegt. Die Wissenschaftler:innen des MVO beobachten den Berg rund um die Uhr, 24/7 an 365 Tagen im Jahr mit allem was an Messgeräten zur Verfügung steht, wie auf einer Intensivstation.

MVO Soufriere Hills

Freizeitaktivitäten auf Montserrat

Etwa 5000 Menschen wohnen heute auf dem Eiland. Sie leben bescheiden vom Fischfang und etwas Tourismus. Die Strände sind klein und rar. Massen- oder Kreuzfahrtourismus gibt es nicht.

Little Bay
Little Bay

Dafür kann man herrlich durch den dichten Wald wandern und zum Beispiel nach dem endemischen Monterrat Pirol Ausschau halten. Das hatte ich auch vor, aber leider habe ich bevor ich nach Montserrat kam meine Kräfte mit einem Auto gemessen. Dieses war stärker. Mein Fuß ist stark verdreht und wandern ist für die nächsten drei Wochen verboten. Strikt. Sehe ich ein, der Fuß protestiert mit stechendem Schmerz wenn ich’s doch versuche.

Mit dem Taxi unterwegs auf Montserrat

Also fahre ich Taxi. Zunächst buche ich eine vierstündige Rundfahrt. Es geht Hügel rauf und Hügel runter. Der Vulkan ist häufig gut sichtbar.

Die (noch) Hauptstadt Plymouth

Ich möchte die de facto Hauptstadt Plymouth besuchen. Das geht nur mit Sondergenehmigung und ist nur für 45 Minuten erlaubt. Norman, mein heutiger Fahrer und Guide, hat die Erlaubnis.

Weg nach Plymouth, Montserrat
Wegposten / Aufsicht

Wir fahren eine extrem feinstaubige Straße entlang. Die ehemaligen Dieselbehälter sind noch zu sehen. Einst lagen sie direkt an der Küste, durch den Lavastrom ist neues Land entstanden, über das wir gerade fahren.

Weg nach Plymouth, Montserrat
Straße nach Plymouth

Norman erklärt mir wo die einzelnen kolonialen Gebäude der einst wunderschönen historischen Hauptstadt standen. Ich sehe nur Büsche. Alle Gebäude, die weniger als drei Stockwerke hatten, sind unter Asche und Schlamm begraben. Pompeji in der Karibik. Von der Technischen Universität ragt noch ein Stockwerk aus der Erde. Näher rangehen darf ich nicht, Norman bekommt fast einen Herzinfarkt und pfeift mich energisch zurück. Alle Gebäude sind einsturzgefährdet.

Plymouth, Montserrat
Technische Universität Plymouth

Erst beim ehemaligen Supermarkt darf ich aussteigen. Per Walkie Talkie meldet sich Norman bei der Aufsicht unter Angabe unseres Standortes ab. Zusammen umrunden wir das Gebäude. In den letzten 30 Jahren hat sich die Natur eine ordentliche Portion ihres Terrains zurückgeholt. Es ist unglaublich ruhig hier. Hin und wieder hört man eine Taube gurren. Außer uns ist nur noch ein Kleinbus mit karibischen Touristen unterwegs. Sie stören nicht weiter, denn sie steigen bei keinem der Gebäude aus.

Das Montserrat Springs Hotel

Das ehemalige Montserrat Springs Hotel liegt außerhalb am Rand der Sperrzone an einem Hang oberhalb von Plymouth. Das Gebäude ist frei zugänglich. Einst war es das erste Haus am Platz, auch die Rolling Stones logierten hier. Heute eine Ruine, ein trauriger Lost Place. Wo einst der Swimmingpool war, der aus eigener Mineralquelle gespeist wurde, wachsen Bäume.

Der Botanische Garten von Montserrat

Um nach all dem Staub und der Zerstörung etwas Schönes zu sehen fahre ich in den Botanischen Garten. Dieser kleine, aber feine Garten wird vom National Trust betrieben.

Mittagessen im Olveston House

Das Mittagessen gönne ich mir im Olveston House. Einst gehörte das Anwesen einem gut betuchten Plantagenbesitzer. Als Erster hatte er Strom auf der Insel. Mit Wasser- und Windkraft erzeugte er diesen selbst. Um 1974 kam George Martin. Der ehemalige Produzent der Beatles kaufte das Olveston House und richtete in einem anderen Gebäude eine Zweigstelle der legendären Air Studios ein. In diesen Studios nahmen Musiklegenden wie The Police, Paul McCartney, Dire Straits und andere Alben auf. 1989 kam Hugo. Hugo war kein Musiker, sondern ein Hurrikan der höchsten Stufe. Hugo nahm das Dach der Air Studios mit. Das war das Aus der Air Studios auf Montserrat, George Martin ging mit den Studios zurück nach London, doch das Olveston House behielt er. Erst 2009 übernahmen Margaret Wilson und Sarah Sweeney das massive Betongebäude. Sie machten daraus ein Restaurant mit ein paar Fremdenzimmern. Im Gang hängen Fotos die Linda McCartney gemacht hat. Der Garten ist groß mit altem Baumbestand, es gibt einen Tennisplatz, der allerdings lange nicht mehr genutzt wurde und auch einen großen Pool. Alles etwas in die Jahre gekommen.

St. Patrick’s Day auf Montserrat

Zurück zum St. Patrick’s Day. An St. Patrick’s kehren viele Emigranten heim nach Montserrat um mit ihren Familienangehörigen zu feiern. Warum wird ausgerechnet auf Montserrat St. Patrick’s Day gefeiert? Die ersten ständigen Siedler waren katholische Flüchtlinge des streng anglikanischen St. Kitts, der Nachbarinsel. Viele stammten aus Irland. Zur Zeit der Sklavenhaltung schufteten an die 10000 Sklaven auf den Plantagen. An einem St. Patrick’s Day planten sie einen Aufstand. An diesem Tag waren die Gutsherren meist stark alkoholisiert. Doch die Revolte schlug fehl, der Anführer wurde durch den Strang hingerichtet. Erst um 1834 wurde die Sklavenhaltung verboten. Die kleine Prozession am St. Patrick’s Day mit König, Prinzessinen und Sklaven gedenkt an diesen Aufstand und die spätere Befreiung der Sklaven. So wird auf Montserrat weniger dem Heiligen Patrick gedacht als vielmehr der Befreiung der Zwangsarbeiter. Gefeiert wird karibisch ausgelassen mit reichlich Alkohol und gutem Essen.

Nach St. Patrick’s Day leert sich die Insel wieder, die Besucher:innen fliegen in ihre Wahlheimatländer zurück. Die Flugzeuge der Air Montserrat sind vom Typ Icelander mit Platz für fünf Passage. Mir wird der Platz neben dem Piloten zugewiesen.